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Zivilprozessrechtliche Rahmenbedingungen der Vernehmung von Zeugen über Videokonferenz

  • office71102
  • 13. Juni
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 1. Juli

Spätestens seit der COVID-19-Pandemie hat die Vernehmung von Zeugen über Videokonferenz, insbesondere wenn diese im Ausland ansässig sind, vermehrt Eingang in das Beweisverfahren von österreichischen Gerichten gefunden. Die praktische Handhabung der einzelnen Gerichtsorgane ist allerdings teilweise höchst unterschiedlich. Der vorliegende Beitrag soll die rechtlichen Rahmenbedingungen darlegen.


Einleitung


Zunächst ist danach zu differenzieren, ob das Gericht eine ganze Verhandlung über Videokonferenz durchführt, oder die Verhandlung selbst vor dem erkennenden Gericht (d.h. im Verhandlungssaal) stattfindet, jedoch einzelne Zeugen über Videokonferenz "zugeschaltet" werden.


Gemäß § 132a ZPO kann das Gericht eine ganze Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung ohne die persönliche Anwesenheit von Parteien oder Parteienvertretern unter Verwendung technischer Kommunikationsmittel zur Wort- und Bildübertragung durchführen, um die Parteien zu vernehmen oder mündliche Gutachten von Sachverständigen erstatten zu lassen, oder um einen Vergleichsabschluss der Parteien zu ermöglichen. Da § 132a ZPO jedoch eine relevante Beschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes darstellt, können die Parteien einer solchen Vorgehensweise widersprechen. In diesem Fall hat das Gericht jedenfalls eine mündliche Verhandlung unter persönlicher Anwesenheit der Parteien bzw. Parteienvertreter durchzuführen. Der Wortlaut des § 132a ZPO spricht auch nicht von Zeugenvernehmungen. In der Praxis eignet sich eine Vorgehensweise nach § 132a ZPO nur für vorbereitende Tagsatzungen, in denen keine Beweisaufnahme erfolgt, zumal die Qualität des Verhandlungsgangs bei bloß "virtueller" Anwesenheit der Beteiligten doch eingeschränkt ist.


Im vorliegenden Fall interessieren uns jedoch die prozessrechtlichen Rahmenbedingungen der Vernehmung von einzelnen Zeugen über Videokonferenz.


Vernehmung von Zeugen über Videokonferenz, die im Inland ansässig sind (§§ 277, 328 ZPO)


Der Regelfall der Zivilprozessordnung ist, dass die einzelnen Zeugen unmittelbar vor dem erkennenden Gericht (d.h. im Verhandlungssaal) zu vernehmen sind (§ 276 Abs 1 ZPO). Unter gewissen Voraussetzungen ist jedoch die Vernehmung durch einen sog. "ersuchten Richter" zulässig. Hierbei handelt es sich um einen Richter eines anderen Gerichtssprengels (etwa im Sprengel des Wohnsitzes des Zeugen), der die Vernehmung auf Ersuchen des Prozessgerichts durchführt (§ 283 ZPO). Gemäß § 37 JN haben sich inländische Gerichte gegenseitig Rechtshilfe zu leisten.


Da die Vernehmung eines Zeugen im Rechtshilfeweg eine erhebliche Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes darstellt (der das Urteil fällende Richter erhält nämlich nur ein schriftliches Protokoll von der Vernehmung), ist diese gemäß § 328 ZPO nur in folgenden Fällen zulässig:


  • die Vernehmung des Zeugen an Ort und Stelle erscheint der Ermittlung der Wahrheit förderlich (z.B. bei Verkehrsunfällen)

  • die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gerichte würde erheblichen Schwierigkeiten unterliegen

  • die Vernehmung des Zeugen vor dem erkennenden Gerichte würde mit Rücksicht auf die dem Zeugen zu gewährende Entschädigung für Zeitversäumnis und die ihm zu erstattenden Kosten der Reise und des Aufenthaltes am Orte der Vernehmung einen unverhältnismäßig großen Aufwand verursachen

  • der Zeuge ist am Erscheinen vor dem erkennenden Gericht gehindert


Wäre nun eine Vernehmung des Zeugen im Rechtshilfeweg zulässig, so hat das Gericht "nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten statt der Einvernahme durch einen ersuchten Richter eine unmittelbare Beweisaufnahme unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung durchzuführen" (§ 277 ZPO). Die Vernehmung über Videokonferenz kann also nur eine Vernehmung im Rechtshilfeweg substituieren. Liegen allerdings die Voraussetzungen einer Vernehmung im Rechtshilfeweg vor, so ist die Vernehmung über Videokonferenz vorzuziehen, weil das Gericht hier einen umfassenderen Eindruck vom Zeugen hat, als bei einem bloß schriftlichen Vernehmungsprotokoll. Die unterlassene Vernehmung über Videokonferenz kann in diesem Fall sogar einen Verfahrensmangel darstellen.


Bei Zeugen im Inland werden die Voraussetzungen der Rechtshilfe (und damit auch der Vernehmung über Videokonferenz) idR nicht vorliegen, es sei denn der Zeuge ist am persönlichen Erscheinen gehindert.


Vernehmung von Zeugen über Videokonferenz, die im Ausland ansässig sind (§§ 291a, 328 ZPO)


Bei der Vernehmung von Zeugen über Videokonferenz, die im Ausland aufhältig sind, tritt der weitere Umstand hinzu, dass ein österreichisches Gericht aus völkerrechtlichen Gründen (Souveränität anderer Staaten) nicht ohne weiteres Beweisaufnahmen in einem anderen Staat durchführen darf. Eine solche Beweisaufnahme findet streng genommen bereits in einem anderen Staat statt, wenn der Zeuge, der z.B. in den Niederlanden aufhältig ist, von einem österreichischen Gericht über "Zoom" vernommen wird.


Der Gesetzgeber hat mit den Bestimmungen der §§ 291a - 291c ZPO Rahmenbedingungen für die Beweisaufnahme im Ausland geschaffen. Diese Bestimmungen betreffen zwar vordergründig den Fall, dass sich das erkennende Gerichtsorgan für die Beweisaufnahme physisch in einen anderen Staat begibt. Allerdings ist § 291a ZPO nach der Rechtsprechung des OGH auch auf Videokonferenzen mit Zeugen im Ausland anzuwenden (3 Ob 150/22p).


Demnach ist für Videokonferenzen mit Zeugen im Ausland genauso Voraussetzung, dass ansonsten ein Rechtshilfeersuchen durchzuführen wäre, etwa weil die Anreise zu Gericht mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden wäre (§ 328 Abs 1 Z 3 ZPO) oder der Zeuge am persönlichen Erscheinen vor Gericht gehindert ist (§ 328 Abs 1 Z 4 ZPO). Gerade bei Zeugen aus entfernteren Ländern oder berufsbedingten Verhinderungen des Zeugen im Ausland kann daher eine Videokonferenz geboten sein, sodass die unterlassene Durchführung sogar einen Verfahrensmangel darstellen kann.


Ordnet das Gericht eine Vernehmung des Zeugen im Ausland über Videokonferenz an, so ist darüber mit abgesondertem Beschluss zu entscheiden und kann der Prozessgegner dagegen Rekurs erheben. Die Abweisung eines Antrags auf Vernehmung eines Zeugen im Ausland über Videokonferenz kann dagegen nicht selbständig mit Rekurs bekämpft werden (§ 291b ZPO). Dies wäre vielmehr als Verfahrensmangel in der Berufung zu rügen.


Außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Beweisaufnahmeverordnung (z.B. bei der Vernehmung eines Zeugen in den USA über Videokonferenz) ist ein Ansuchen im Wege des Bundesministeriums für Justiz zu stellen, welches sodann eine Genehmigung des ausländischen Staates einholt.


Im Anwendungsbereich der (neuen) EU-Beweisaufnahmeverordnung (= VO (EU) 2020/1783, kurz: EuBVO) sieht Art 20 EuBVO ausdrücklich die Möglichkeit der Beweisaufnahme durch Videokonferenz vor. Allerdings ist gemäß Art 19 EuBVO auch innerhalb der EU die Zustimmung des anderen Staates durch das ersuchende Gericht einzuholen, widrigenfalls die Videokonferenz nicht durchgeführt werden dürfte. Auch mit der EuBVO haben die Mitgliedsstaaten ihre völkerrechtliche Souveränität hinsichtlich von Beweisaufnahmen, welche auf ihrem Territorium ausgeführt werden, nicht (gänzlich) aufgegeben. Eine Erleichterung stellt jedoch die Genehmigungsfiktion gemäß Art 19 Abs 5 EuBVO dar, wonach die Beweisaufnahme zulässig ist, wenn der ersuchte Staat nicht binnen 30 Tagen (zuzüglich einer Erinnerungsfrist von 15 Tagen, also insgesamt 45 Tagen) widersprochen hat.


Zusammenfassung


Zusammengefasst folgt, dass der Gesetzgeber mit § 291a ZPO Voraussetzungen für eine Videokonferenz mit Zeugen im Ausland geschaffen hat, wobei diese Bestimmungen durch die EuBVO ergänzt werden. Gerade wenn die Anreise mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre, oder der Zeuge am Erscheinen bei Gericht gehindert ist, kann eine Vernehmung über Videokonferenz nach § 328 ZPO iVm § 291a ZPO zulässig, ja sogar geboten sein.

 
 
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