Haftung des Testamentserrichters bei formungültigen Testamenten?
- office71102
- 13. Juni
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Aktualisiert: 1. Juli
Beginnend mit der Entscheidung 2 Ob 192/17z vom 26.06.2018 hat der OGH in einigen Fällen fremdhändige Testamente, die aus mehreren losen Blättern bestanden, als formungültig angesehen, und seine Judikatur weiter präzisiert bzw. verschärft. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen testamentarisch bedachte Erben, die wegen der Formungültigkeit des Testaments "leer ausgehen", den Testamentserrichter (Rechtsanwalt bzw. Notar) zur Haftung heranziehen können.
Überblick zur Entwicklung der OGH-Judikatur im Zusammenhang mit der Formungültigkeit von fremdhändigen Testamenten
In der Entscheidung 2 Ob 192/17z befasste sich der OGH erstmals näher mit der Frage der Formgültigkeit von fremdhändigen Testamenten, die aus mehreren losen Blättern bestanden, bei denen aber die Unterschriften der Zeugen nur auf dem letzten Blatt angebracht waren. Konkret befand sich der Text der letztwilligen Anordnung auf der Vorder- und Rückseite des ersten Blattes. Am Ende des ersten Blattes waren das Datum und die Unterfertigungszeile für die Unterschrift des Erblassers samt handschriftlicher nuncupatio ("Diese Urkunde enthält meinen letzten Willen") vorbereitet. Auf dem zweiten Blatt waren ebensolche Zeilen für die Unterschriften der Testamentszeugen vorgedruckt.
Gemäß § 579 ABGB (dort idF vor dem ErbRÄG 2015, dies hat sich aber durch das ErbRÄG 2015 nicht geändert) haben Testamentszeugen "immer auf der Urkunde selbst" zu unterschreiben. Der OGH vertrat - anders als die Vorinstanzen zu 2 Ob 192/17z - die Auffassung, dass bei einem Testament, wo der gesamte Text auf dem ersten Blatt steht, dieses erste Blatt jene Urkunde ist, auf der die Zeugen zu unterschreiben haben. Zwar räumte der OGH ein, dass es Situationen geben könne, in denen das erste Blatt so vollgeschrieben ist, dass sich die Zeugenunterschriften nur auf dem zweiten Blatt ausgehen. Auch in solchen Fällen sei aber ein "inhaltlicher Zusammenhang" zwischen den losen Blättern erforderlich, etwa durch eine Textfortsetzung oder einen – vom Testator unterfertigten – Vermerk auf dem zusätzlichen Blatt mit Bezugnahme auf seine letztwillige Verfügung.
In der Entscheidung 2 Ob 143/19x vom 18.11.2019 hatte der OGH wiederum einen Fall zu beurteilen, in dem sich auf dem ersten Blatt (Vorder- und Rückseite) der Testamentstext befand, und auf dem zweiten Blatt das Datum, die nuncupatio samt Unterschrift des Erblassers sowie die Unterschriften der Zeugen. Der OGH hielt an der Rechtsprechung 2 Ob 192/17z fest, und präzisierte, dass für die Formgültigkeit eines fremdhändigen Testaments, das aus mehreren Blättern besteht, entweder eine sog. "äußere Urkundeneinheit" oder eine "innere Urkundeneinheit" erforderlich ist. Eine "äußere Urkundeneinheit" liegt nur dann vor, wenn die "einzelnen Bestandteile der Urkunde (die losen Blätter) so fest miteinander verbunden wurden, dass die Verbindung nur mit Zerstörung oder Beschädigung der Urkunde gelöst werden kann, wie zB beim Binden, Kleben oder Nähen der Urkundenteile." Konkret bedeutet das, dass sowohl eine Büroklammer als auch eine Heftklammer (zu letzterer siehe auch 2 Ob 51/20v) für die Herstellung der "äußeren Urkundeneinheit" nicht ausreichend sind. Für die innere Urkundeneinheit sei wiederum eine Textfortsetzung oder ein Vermerk des Erblassers auf dem zweiten Blatt erforderlich.
In der Entscheidung 2 Ob 29/22m vom 26.04.2022 führte der OGH letztlich aus, dass auch die "bloße Textfortsetzung" nicht zur Herstellung der inneren Urkundeneinheit ausreicht und revidierte der OGH sein obiter dictum (nebenbei geäußerte Rechtsauffassung) in den früheren Entscheidungen 2 Ob 192/17z und 2 Ob 143/19x. Die Konsequenz der letzten OGH-Entscheidungen ist somit, dass für die innere Urkundeneinheit kaum mehr ein rechtssicherer Anwendungsbereich verbleibt, somit zwangsläufig das feste Verbinden der Blätter oder die Abfassung auf einem einzigen Blatt anzuraten ist.
Was bedeutet das nun für die Haftung des Testamentserrichters, wenn das Testament sich als formungültig herausstellt?
Von einem Rechtsanwalt bzw. Notar kann man grundsätzlich verlangen, dass er ein fremdhändiges Testament derart vorbereitet, dass dieses im Todesfall dann auch formgültig ist. Andernfalls ist eine Haftung nach § 1299 ABGB denkbar, zumal Rechtsanwälte bzw. Notare einem objektivierten Sorgfaltsmaßstab unterliegen. Der Testamentserbe, der "leer ausgeht", fällt auch idR in den Schutzbereich des Mandatsvertrags zwischen Erblasser und Rechtsanwalt bzw. Notar.
Im vorliegenden Fall besteht allerdings die Besonderheit, dass der OGH die Rechtsprechung zur Formungültigkeit von Testamenten derart präzisiert bzw. verschärft hat, dass man von einem "Judikaturwechsel" sprechen kann. Nun hat der Rechtsanwalt bzw. Notar bei seiner beratenden außergerichtlichen Tätigkeit (sog. "Kautelarjurisprudenz") nach Möglichkeit den gefahrloseren Weg zu gehen, sodass man argumentieren könnte, die Verbindung zweier loser Blätter nur mit einer Heftklammer sei nicht der "gefahrloseste Weg". Allerdings haftet der Rechtsanwalt bzw. Notar nur für eine vertretbare Rechtsauffassung, auch wenn sich die Rechtsauffassung später als falsch herausstellt, soweit sie zumindest nach damaligem Stand der Rechtsprechung gut begründet war. Der Notar bzw. Rechtsanwalt hat grundsätzlich nicht für nachträgliche Änderungen in der Rechtsprechung einzustehen.
In der Entscheidung 7 Ob 38/24z vom 17.04.2024 verneinte der OGH eine Beraterhaftung. Die Entscheidung erging im Schadenersatzprozess gegen den testamentserrichtenden Notar zu 2 Ob 29/22m. Der OGH erachtete die Rechtsauffassung des Notars als vertretbar, zumal der OGH erst mit der Entscheidung 2 Ob 29/22m die Textfortsetzung nicht mehr als ausreichend genügen ließ und in den vorherigen Entscheidungen die Textfortsetzung (wenngleich obiter dictum) noch als Beispiel für eine "innere Urkundeneinheit" anführte. Weil dem Notar im Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine unvertretbare Rechtsauffassung vorzuwerfen war, verneinte der OGH die Beraterhaftung.
Die Entscheidung 7 Ob 38/24z ist grundsätzlich nachvollziehbar, weil der OGH sein obiter dictum zur Textfortsetzung erst später revidiert hat. Weiterhin nicht restlos geklärt ist allerdings die Frage der nachvertraglichen Sorgfaltspflichten von Rechtsanwälten bzw. Notaren, die in dieser Entscheidung nicht Thema war. Aufgrund der gehäuften Rechtsprechung des OGH zu formungültigen Testamenten, wonach auch eine Textfortsetzung für sich allein nicht ausreicht, dürfte es nun vermehrt Fälle geben, in welchen eine nachträgliche "Sanierung" des Testaments zu Lebzeiten des Erblassers definitiv erforderlich ist. Nun kann man von Rechtsanwälten bzw. Notaren nicht verlangen, dass sie sämtliche frühere Mandate unter Umständen Jahrzehnte in Evidenz halten, ob sich gegebenenfalls die Rechtslage ändert (dies wäre schon rein administrativ nicht machbar). Allerdings kann ein Mandatsvertrag z.B. im Zusammenhang mit einem Zivilprozess nicht mit einem Mandatsvertrag zu einer Testamentserrichtung gleichgesetzt werden. Während der Zivilprozess z.B. mit einem Urteil oder einem Vergleich endet, sohin nachträgliche Änderungen in der Rechtsprechung schon deswegen nicht vom Rechtsanwalt "überwacht" werden müssen, ist bei einem Testament für den Rechtsanwalt geradezu erkennbar, dass dessen Folgen erst nach Jahren oder Jahrzehnten schlagend werden.
Es ist also denkbar, von einem Rechtsanwalt (mit gewissen Einschränkungen zur Zumutbarkeit) zu verlangen, seine ehemaligen Mandanten (soweit diese überhaupt noch erreichbar sind!) zumindest mit einem standardisierten Schreiben darüber zu informieren, dass sie aufgrund der Änderungen in der Rechtsprechung ihr Testament überprüfen lassen sollten. Schließlich wird der jeweilige Notar bzw. Rechtsanwalt auch wissen, wie er "seine" Testamente typischerweise errichtet hat, und ob diese im Sinne der aktuellen Rechtsprechung von einer Formungültigkeit bedroht wären. Im Zusammenhang mit nachvertraglichen Pflichten ist also das letzte Wort durch das Höchstgericht wohl noch nicht gesprochen.
Weiters ist (unabhängig von der Frage der nachvertraglichen Pflichten) eine Beraterhaftung denkbar, wenn das Testament nach der Entscheidung 2 Ob 192/17z errichtet wurde, und aus mehreren losen Blättern ohne Textfortsetzung bestand. Von Rechtsanwälten und Notaren kann nämlich verlangt werden, dass sie die einschlägige höchstgerichtliche Rechtsprechung kennen, insbesondere zumal diese Entscheidung in der Literatur auch eingehend diskutiert wurde. Seit der Entscheidung 2 Ob 192/17z war auch klar, dass Testamente mit einer vergleichbaren Gestaltung (= lose Blätter ohne Textfortsetzung) wie in dieser Entscheidung zumindest mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit behaftet sind.
Ob die Verfolgung möglicher Schadenersatzansprüche wegen einer formungültigen Testamentserrichtung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, kann letztlich nur im Einzelfall beurteilt werden, und hängt insbesondere davon ab, wann genau das Testament errichtet wurde, wie dieses genau gestaltet war, und ob es dem Rechtsanwalt bzw. Notar möglich gewesen wäre, auf eine "Sanierung" des Testaments zu Lebzeiten des Erblassers noch hinzuwirken. Aus der "ersten" Entscheidung 7 Ob 38/24z zur Verneinung der Beraterhaftung im Zusammenhang mit formungültigen Testamenten lässt sich aber eine Tendenz erahnen, dass der OGH aufgrund des "Judikaturwechsels" eine eher restriktive Position zu Gunsten der Testamentserrichter einnimmt.
