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Barrierefreiheitsgesetz mit 28.06.2025 in Kraft getreten

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  • 1. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Mit 28.06.2025 ist das Barrierefreiheitsgesetz in Kraft getreten. Damit hat der österreichische Gesetzgeber die RL (EU) 2019/882 über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen umgesetzt. Ziel dieses Gesetzes ist es, Menschen mit Behinderung eine selbstbestimmte Lebensführung zu erleichtern. Erfahren Sie mehr über die Eckpunkte dieses neuen Bundesgesetzes sowie dessen Verhältnis zum bestehenden Bundes-Behindertengleichgestellungsgesetz.


Eckpunkte des Barrierefreiheitsgesetzes


Zunächst definiert das Barrierefreiheitsgesetz, welche Produkte und Dienstleistungen ab 28.06.2025 vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes umfasst sind (§ 2 BaFG). Das Gesetz gilt grundsätzlich nur für neue Produkte, die ab diesem Zeitpunkt in Verkehr gebracht werden, und für Dienstleistungen, die ab diesem Zeitpunkt angeboten werden. In § 37 BaFG finden sich jedoch Übergangsbestimmungen, wonach beispielsweise Dienstleistungsverträge, die vor dem 28.06.2025 abgeschlossen wurden, nicht länger als fünf Jahre unverändert fortbestehen dürfen, und danach jedenfalls barrierefrei sein müssen. Praktische Anwendungsfälle des Barrierefreiheitsgesetzes sind:


  • Produkte: Hardwaresysteme (z.B. Laptops), Selbstbedienungsterminals (z.B. Geldautomaten, Fahrkartenautomaten, Check-in-Automaten), E-Book-Lesegeräte

  • Dienstleistungen: E-Books, Dienstleistungen im Elektronischen Geschäftsverkehr (z.B. Webshops aller Art), Bankdienstleistungen (Online-Banking-App)


Die zentrale Bestimmung ist § 4 BaFG, wonach "Wirtschaftsakteure" (gemäß § 3 Z 17 BaFG ein Überbegriff für Hersteller, Importeur, Händler oder Dienstleistungserbringer) nur Produkte in Verkehr bringen und Dienstleistungen anbieten dürfen, die die Barrierefreiheitsanforderungen dieses Bundesgesetzes erfüllen. Dem Bundesgesetz ist eine Anlage 1 angeschlossen, die wiederum aus mehreren Abschnitten besteht, und in welcher die Barrierefreiheitsanforderungen näher definiert sind.


Für Webseiten bedeutet dies beispielsweise, dass die Informationen über mehr als einen sensorischen Kanal bereitzustellen (z.B. Vorlesefunktion) und "in verständlicher Weise" darzustellen sind. Was "verständlich" genau bedeutet, also welches Sprachniveau nicht überschritten werden darf, ist im Gesetz nur teilweise definiert. Im Zusammenhang mit Bankdienstleistungen ist das Sprachniveau B2 (Höhere Mittelstufe) als Obergrenze ausdrücklich in Anlage 1 zum Barrierefreiheitsgesetz vorgesehen. Bei den übrigen Dienstleistungen fehlt eine Definition im Gesetz. Es ist davon auszugehen, dass bei den übrigen Dienstleistungen (jedenfalls wenn diese keine speziellen Fachbegriffe erfordern) wohl das Sprachniveau B1 als Richtwert heranzuziehen ist, damit Barrierefreiheit gegeben ist.


Da die Umsetzung der Barrierefreiheit für Unternehmer mitunter mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand verbunden ist, sieht das Gesetz auch Ausnahmen vor. So sind gemäß § 6 Abs 1 BaFG "Kleinstunternehmen" bei Dienstleistungen (nicht bei Produkten) von den Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen. Gemäß § 3 Z 19 BaFG liegt dann ein "Kleinstunternehmen" vor, wenn dieses weniger als zehn Personen beschäftigt und entweder einen Jahresumsatz von höchstens EUR 2 Mio. erzielt oder dessen Jahresbilanzsumme sich auf höchstens EUR 2 Mio. beläuft.


Eine weitere Ausnahme von der Barrierefreiheit besteht insoweit, als deren Einhaltung eine wesentliche Änderung des Produkts oder der Dienstleistung zur Folge hätte (Veränderung des Wesensmerkmals des Produkts oder der Dienstleistung, siehe § 17 BaFG). Weiters besteht insoweit eine Ausnahme, als die Barrierefreiheitsanforderungen eine unverhältnismäßige Belastung der Wirtschaftsakteure zur Folge hätten. In diesem Zusammenhang sieht das Gesetz umfassende Dokumentationspflichten der Wirtschaftsakteure vor (§ 18 BaFG).


Schließlich sieht das Gesetz in den §§ 21 ff BaFG eine Marktüberwachung durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) vor. Das Sozialministeriumservice ist beispielsweise schon jetzt für Schlichtungsverfahren nach dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz zuständig (etwa für Schlichtungsverfahren, welche der Geltendmachung von Diskriminierungen aufgrund von Behinderung beim Arbeitsgericht vorgeschaltet sind). Bei der Umsetzung des Barrierefreiheitsgesetzes steht dem Sozialministeriumservice die Befugnis zu, bescheidmäßige Aufträge an betroffene Unternehmen zu erlassen und allenfalls auch Verwaltungsstrafen zu verhängen (gemäß § 36 BaFG bis zu EUR 80.000).


Verhältnis zwischen Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz und Barrierefreiheitsgesetz


Zunächst ist festzuhalten, dass sowohl das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) als auch das Barrierefreiheitsgesetz dasselbe Ziel, nämlich Förderung des selbstbestimmten Lebens von Behinderten verfolgen (§ 1 BGStG bzw. § 1 BaFG). Der Ansatz zur Erreichung des Ziels ist jedoch ein anderer. Während das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz die Verhinderung von Diskriminierung (also die Benachteiligung von Behinderten in einer vergleichbaren Situation) verfolgt, zielt das Barrierefreiheitsgesetz auf die Schaffung eines generellen (technischen) Standards für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen ab.


Aus den parlamentarischen Materialien zum Barrierefreiheitsgesetz ergibt sich, dass sich die beiden Gesetze ergänzen sollen und keines der Gesetze den Anwendungsbereich des jeweils anderen Gesetzes beschränken soll. Es ist daher einzelfallbezogen zu prüfen, ob eine Barriere auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund von Behinderung darstellt (Regierungsvorlage 2046 BlgNR XXVII. GP 22 zu § 35). Gemäß § 5 Abs 2 BGStG liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn "dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich".


Auch wenn die beiden Gesetze nebeneinander bestehen, wird das Inkrafttreten des Barrierefreiheitsgesetzes praktisch wohl dazu führen, dass der Anwendungsbereich für mittelbare Diskriminierungen erweitert wird. Gemäß § 6 Abs 4 BGStG ist nämlich "bei der Beurteilung des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung durch Barrieren [...] zu prüfen, ob einschlägige auf den gegenständlichen Fall anwendbare Rechtsvorschriften zur Barrierefreiheit vorliegen und ob und inwieweit diese eingehalten wurden." Durch das Inkrafttreten des Barrierefreiheitsgesetzes hat sich der Normenbestand wesentlich erweitert, sodass Zivilgerichte bei der Beurteilung mittelbarer Diskriminierungen wohl vermehrt auf die Bestimmungen des Barrierefreiheitsgesetzes zurückgreifen werden. Es ist auch davon auszugehen, dass durch das Barrierefreiheitsgesetz über die nächsten Jahre hinweg der "Stand der Technik" wesentlich angehoben wird, sodass früher rechtfertigbare Hürden bei der Beseitigung von Barrieren (§ 6 BGStG) jetzt nicht mehr zu rechtfertigen sind.


Verstöße gegen das Barrierefreiheitsgesetz im Zusammenhang mit Produkten und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, werden somit in vielen Fällen nicht nur eine verwaltungsstrafrechtliche Komponente, sondern auch eine zivilrechtliche Komponente im Rahmen des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes haben. Bei der Verletzung des Diskriminierungsverbotes nach dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz besteht nämlich Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens sowie eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung (immaterieller Schadenersatz).


Zusätzlich kommen Gewährleistungsansprüche nach allgemeinem Zivilrecht in Frage, weil die Bestimmungen des Barrierefreiheitsgesetzes als gewöhnlich bedungene Eigenschaften angesehen werden können, und eine Abweichung hiervon einen zivilrechtlichen Mangel darstellt (Regierungsvorlage 2046 BlgNR XXVII. GP 22 zu § 35).


Zusammengefasst folgt, dass mit dem Inkrafttreten des Barrierefreiheitsgesetzes seitens des Gesetzgebers ein weiterer wesentlicher Schritt zum Abbau von Barrieren für Behinderte und damit im Ergebnis auch mittelbaren Diskriminierungen gesetzt wurde.














 
 
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